Zu Babies gehören Windeln, das ist klar. Zumindest bei uns in der westlichen Welt. Schaut man aber mal über den Tellerrand, wachsen tatsächlich je nach Studie 80-90 % aller Babies weltweit ohne Windeln auf. Wie kann das gehen, und wie machen die das denn? Wird dort einfach „laufen gelassen“ und alles ist unhygienisch und verdreckt? Nein. Babies haben ab Geburt ihre Schliessmuskeln unter Kontrolle und können ihre Ausscheidungen zurückhalten, bis sie entscheiden, dass sie sich entleeren möchten. Oft geben sie dann Signale (z.B. einen bestimmten Laut, eine Bewegung, Strampeln, unruhig werden) als ob sie der Bezugsperson mitteilen möchten: „Mama/Papa, ich muss mal, hilf mir und mach mich frei!“
In erster Linie ist es also eine ganz feine, zugewandte Kommunikation und Verbundenheit zwischen Eltern und Kind, bei dem nicht nur die Bedürfnisse nach Schlaf, Nahrung, Liebe, Wärme etc. gestillt werden möchten, sondern genauso auch das Bedürfnis nach Ausscheidung begleitet werden darf. Merken die Eltern, dass ihr Baby "mal muss", machen sie den Schrittbereich frei, „halten“ es in einer gestützten, bequemen Hockposition an den Elternbauch gelehnt über einem Töpfchen, der Toilette, dem Waschbecken oder der Natur „ab“. Sie ermöglichen dem Kind also Pipi oder Kaka zu machen indem die Ausscheidungen vom Körper weg fliessen dürfen (so hat sich die Bezeichnung „Abhalten“ im Sinne vom Körper ab- oder wegleitend durchgesetzt).
Es ist nämlich ein menschlicher Urinstinkt, sich selbst, das eigene Nest und die Personen, die das Baby versorgen, nicht beschmutzen zu wollen. So halten Babies beispielsweise in der Trage oft lange aus, werden dann unruhig um herausgenommen und abgehalten zu werden und schlafen dann wieder friedlich in der Trage weiter.
Lernen Eltern ihr Kind und seine Signale, Ausscheidungsrythmen über den Tag verteilt und die feinstoffliche Kommunikation besser kennen, berichten viele Eltern dann ganz intuitiv zu wissen, wann ihr Kind einmal muss.
Einfach und ziemlich verlässlich ist es ausserdem, nach Standardsituationen abzuhalten: Nach dem Aufwachen, während oder nach dem Stillen, nach dem Herausnehmen aus der Trage/dem Tuch, nehmen die Kinder das Angebot, sich ausserhalb der Windel zu erleichtern, meist gerne an.
Der Name „Windelfrei“ ist übrigens etwas unglücklich gewählt und mag dem ein oder der anderen etwas zu „radikal“ daherkommen. Denn die meisten Eltern, die ihre Kinder hierzulande abhalten, ziehen ihren Kindern sehr wohl (Stoff-)Windeln als Backup an, für den Fall, dass sie einmal ein Pipi nicht mitbekommen. Der englische Begriff Elimination Communikation (zu dt.: Ausscheidungskommunikation) trifft es dafür ganz genau. Es geht um die feine Kommunikation zwischen Eltern und Kind bzgl. der Ausscheidungen.
Dem natürlichen Ausscheidungsbedürfnis des Kindes ausserhalb der Windel wird nachgekommen
Feine Kommunikation und gestärkte Bindung zwischen Eltern und Kind, zugewandtes Einfühlen & Intuition
Kein roter Po und Ausschlag im Windelbereich, keine synthetischen Materialien auf Erdölbasis an der Haut
Babies behalten ihr natürliches Körperbewusstsein, ihre angeborene Kontrolle über ihre Schliessmuskeln und Ausscheidungen (ohne diese wieder mühsam mit 3 oder 4 Jahren zu erlernen)
Stuhlgang in Hockposition statt im Liegen ist ergonomisch einfacher und hilft bei Verdauungsbeschwerden, beugt Verstopfung vor und begünstigt ein vollständigeres Entleeren des Darms
Mehrere Tonnen an unverrottbarem Windelmüll (pro Kind 1,5 Tonnen, Tendenz steigend) werden vermieden und wertvolle Rohstoffe, die es zur Herstellung von Plastikwindeln braucht, werden gespart
Kinder, die abgehalten werden und ihr natürliches Ausscheidungsbewusstsein beibehalten, brauchen im Vergleich zu Vollzeit gewickelten Kindern meist früher gar keine Windeln mehr (mit ca 1,5-2,5 Jahren)
Manche Eltern sagen, diese Methode ist ihnen zu aufwendig und zeitintensiv. Wir sehen es so: Gerade im ersten halben Jahr, sind Eltern meist ohnehin die ganze Zeit mit ihrem Baby zusammen und lernen es und seine Bedürfnisse genau kennen. Bei jedem Weinen wird innerhalb von Sekunden eruiert und verstanden, was das Kind gerade braucht. Neben beispielsweise „müde sein“ oder „gestillt werden wollen“, kommt hier nun einfach ein weiteres Bedürfnis das abgeklärt werden kann hinzu. Da das Wickeln am Wickeltisch weg, oder weniger anfällt, gibt es sich mit dem zeitlichen Aufwand, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass Windelfrei-Kinder oft deutlich früher trocken werden und man sich Jahre an Wickelei spart.
Viele Familien praktizieren auch sog. Teilzeit-Windelfrei und halten ihre Kinder nur gelegentlich, nur zu Standard-Situationen, nur durch eine Person, nur morgens oder nur zuhause ab. Hier gibt es für jede Familie einen Weg, der zu ihr passt. Gerade in Kombination mit Stoffwindeln, die dem Körper kein magisches Trockenheitsgefühl vorgaukeln, sondern auf Wasserlassen eine Resonanz spüren lassen, finden viele Familien einen stimmigen Mittelweg.
Ein Missverständnis gilt es vorab noch auszuräumen: Windelfrei hat nichts mit Töpfchentraining zu tun. Niemand wird zu etwas trainiert, sondern es wird beidseitig kommuniziert und bei Bedarf die Möglichkeit angeboten, sich ausserhalb der Windel zu erleichtern. Wird dies angenommen, ist es gut, wird es abgelehnt, ist es auch gut. Man kann sich gemeinsam freuen, wenn die Kommunikation klappt oder man mit der plötzlichen Eingebung „ich glaube mein Kind muss mal“ richtig lag. Mit dem autoritären Sauberkeitsträning, das mit Erfolg, Bestrafung und Konditionierung arbeitete, indem Kinder der vorigen Generation gezwungen wurden, auf dem Töpfchen sitzen zu bleiben, bis sie ihr Geschäft verrichtet hatten, hat dieses zugewandte In-Beziehung-Sein zum Glück nichts zu tun.
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